Starke Grundlagen für erfahrene Scrum-Teams: Der ideale Workshop
Warum es sich lohnt, die Basics zu wiederholen und wie du es richtig machst
Auch erfahrene Scrum-Teams können sich in unklaren Abläufen verlieren. Wie kannst du als Scrum Master sicherstellen, dass alle die grundlegenden Prinzipien verstehen und anwenden? Eine gezielte Wiederholung der Scrum-Grundlagen kann Abhilfe schaffen.
Dein Team arbeitet schon längere Zeit mit Scrum. Dir fällt auf, dass einige Dinge unklar sind, dass sich ein paar eigenartige Routinen eingeschliffen haben.
Hier und da tauchen Fragen auf, die eine längere Erklärung erfordern würden. Du merkst ihnen an, dass sie mehr erfahren und in die Tiefe gehen wollen.
Ein Entwickler fragt vielleicht in der Vorbereitung auf das Sprint Review: Was passiert eigentlich, wenn wir zum Sprint-Ende eine Funktionalität nicht liefern können? Oder es taucht die Frage auf, wer denn die Entscheidung über ein Release trifft?
Du gibst die kurze Antwort, dass im Review-Meeting nur gezeigt wird, was wirklich fertiggestellt ist. Außerdem hat die Entscheidung über das Release natürlich die Product Ownerin. Aber ist es wirklich immer so einfach? So wirklich zufriedenstellend sind diese Einsatzantworten für die meisten nicht, weil sie den Hintergrund verstehen wollen.
Irgendwie haben doch viele Menschen den Wunsch nach einer vernünftigen Erklärung. Erklärung ist eine Voraussetzung für das Verstehen und das macht es notwendig, sich die Grundlagen vor Augen führen.
Grundlagen sind wie das Fundament eines Hauses. Wenn das Fundament schwach und wackelig ist, wie will man dann ein Haus drauf bauen? Wie lange wird das Haus stehen bleiben?
Wenn wir die Grundlagen zu Scrum nicht verinnerlicht haben, dann werden wir irgendwann im Zombie-Scrum-Modus landen. Nach außen hin sieht alles so aus, wie ein lebendiges Scrum, aber im Inneren fehlt der vitale Puls, der Herzschlag.
Der Aufbau des Workshop-Tages
Bei mir war es so, dass meine Teams mich gebeten haben, dass wir mal gemeinsam die Scrum-Grundlagen durchgehen. Sie wollen Scrum richtig machen. Natürlich habe ich mich darüber gefreut.
Um herauszufinden, wie das Scrum-Framework in unserem Kontext am besten funktioniert, brauchten wir vor allem ausreichend Zeit für einen Austausch. Also machte ich mich an die Vorbereitung eines Workshops.
Während ich den Workshop ausarbeitete, kamen mir aber Bedenken. Die Teams haben bereits umfangreiche Erfahrungen mit Scrum. Lohnt sich der Aufwand für diese grundlegenden Themen aus dem Scrum Guide, wenn wir vielleicht schon in 15 Minuten fertig sind? Mit diesem Zweifel im Kopf machte ich weiter.
Der Workshop selbst, sollte dabei nicht als langweiliger Frontalunterricht daher kommen, der staubtrocken ist, wie der Wüstensand in der Sahara. Nein, es sollte ein spannendes Format werden, mit Interaktionen und Diskussionen, das aber auch genug Zeit zum Nachdenken bietet.
Ich habe mich dann für folgende Bestandteile entschieden:
Brilliant Moments
Ball Point Game
Theorie
Magic 3-5-3 Discussion
Brilliant Moments ist ein durchaus anspruchsvoller Check-in, weil er Offenheit verlangt. Er legte die Richtung fest, für den gesamten Tag und den Kern der empirischen Prozesssteuerung: Vertrauen. Warum Vertrauen so wichtig ist, das wird im Theorie-Teil erklärt.
Im Ball Point Game sollten die Teilnehmenden erleben, wie kontinuierliche Verbesserungen durch iteratives Vorgehen besser gelingen. Das Ball Point Game ist eine Simulation von Scrum-Grundprinzipien.
Der Theorie-Block sollte die Erklärungen und etwas Hintergrund zu dieser Simulation liefern. Er sollte auch dabei helfen, die zugrundeliegende Mechanik der Empirie besser zu verstehen.
Den Abschluss und den, wie die Teilnehmenden später sagten, wichtigsten Teil des Workshops bildete ein spezielles Format - die "Magic 3-5-3 Discussion".
Die Idee hinter der Magic 3-5-3 Discussion
Magic 3-5-3 Discussion vereint zwei bekannte Methoden zu einer neuen. Während ich den Workshop-Tag vorbereitet habe, kam mir diese interessante Idee.
Schon vor längerer Zeit bin ich auf die 3-5-3-Regel zur Erklärung der Scrum-Komponenten gestoßen. Und Magic Estimation als Methode zur schweigenden, schnellen Schätzung in einer Gruppe, kennen auch viele in der agilen Welt. Warum nicht beide Methoden miteinander in einer Workshop-Aktivität kombinieren?
Die 3-5-3-Regel1 beschreibt in einfacher Weise die Komponenten, wie sie im Scrum Guide zu finden sind. Sie beinhaltet die 3 Rollen: Product Owner, Scrum Master, Developer. Außerdem beschreibt sie die 5 Events: Sprint, Sprint Planning, Daily Scrum, Sprint Review und Retrospektive. Zuletzt noch die 3 Artefakte: Product Backlog, Sprint Backlog und Product Increment. Die 3-5-3-Regel gibt mir eine einfache Systematik an die Hand, wie ich die Bestandteile von Scrum erklären kann.
Bei Magic Estimation2 werden - stark vereinfacht gesagt - verschiedene Karten, die eine Funktionalität beschreiben, nach ihrer Komplexität geordnet. Dies passiert in einer Gruppe, wobei jede Person eine bestimmte Anzahlt von Karten in die Hand bekommt. Während die Karten nach Komplexität geordnet werden, wird nicht gesprochen. Im Anschluss erfolgt eine Diskussion dazu.
Die Magic 3-5-3 Discussion vereint die beiden oben genannten zu einem Workshop-Format für geübte Scrum Teams, die sich selbst auf ihre Grundlagen-Kenntnisse überprüfen wollen.
Von den Teilnehmenden werden Karteikarten mit Statements zu den elf Scrum-Komponenten zugeordnet.
Zum Beispiel wird eine Teilnehmerin im Workshop eine grüne Karte mit folgendem Statement erhalten: "In this event, the developers forecast what they believe they can do in the upcoming Sprint." Diese kann sie dann zur Komponente "Planning" zuordnen.
Eine Magic 3-5-3 Discussion effizient vorbereiten
Die Vorbereitung ist denkbar einfach. Es werden zwei Arten von Karten gedruckt. Elf orangefarbene Karten bilden die Headlines für die Scrum "Komponenten". Circa 50 hellgrüne Karten enthalten Statements aus dem Scrum Guide3 zu den jeweiligen Komponenten.
Benötigt werden:
Headline-Karten für die Scrum Komponenten
Karten mit beschreibenden Statements
Rote Klebepunkte
Ein großer Raum, der sich nach der Gruppengröße richtet
Hier erhältst du die Karten zum Download. Zur besseren Unterscheidung empfiehlt es sich, sie auf farbigem Papier auszudrucken. In meinem Fall war es orange für die Headlines und grün für die Statements.
Die Vorbereitung ist erledigt, die Karten sind gedruckt, der Meeting-Raum ist gebucht, die Teilnehmenden sind eingeladen. Der Workshop startet durch. Es werden brillante Momente geteilt, das iterative Vorgehen wird simuliert und die Teilnehmer schlafen beim Theorie-Teil nicht ein. Bis hierhin läuft also alles klasse.
Jetzt beginnt die Magic 3-5-3 Discussion und jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer erhält von dir circa fünf bis sieben grüne Karten.
Wie eine Magic 3-5-3 Discussion abläuft
Du legst die orangefarbenen Karten mit ausreichend Abstand auf den Fußboden. Dann beschreibst du im einleitendend Briefing die Ziele der Aktivität und gibst einen groben Abriss des Vorgehens.
Die zwei Ziele der Magic 3-5-3 Discussion sind:
Den aktuellen Wissensstand zu Scrum herausfinden und
Den Wissensstand vertiefen
Es folgen die drei Phasen auslegen, überprüfen und diskutieren.
Die 1. Phase: schweigendes auslegen
Alle Personen stehen im Kreis um die orangen Karten, die auf dem Fußboden angeordnet sind. Sie halten ihre grünen Karten in der Hand bereit und du gibst den Startschuss.
Nun geht es darum, die grünen Karten der passenden Überschrift zuzuordnen.
Wichtigster Punkt: Dabei wird nicht geredet. Alle sind erst einmal mit sich und seinen Gedanken allein und können sich selbst ein wenig testen.
Die 2. Phase: überprüfen und markieren
Die zweite Phase erfolgt ebenfalls schweigend.
Alle gehen herum und überprüfen die ausgelegten Karten.
Wenn man der Meinung ist, eine Karte liegt nicht an der richtigen Stelle, dann kann man sie korrigieren und unter einer anderen Komponente platzieren.
Jedes Mal, wenn eine Karte verschoben wird, wird ein Punkt darauf geklebt. Das ist wichtig, weil wir dadurch sehen können, bei welchen Aussagen wir unterschiedliche Meinungen haben. Diese schauen wir uns in der Diskussion gleich besonders an.
Diese ersten beiden Phasen dienen dem Ziel, den aktuellen Wissensstand zu Scrum herauszufinden. Um die Magie zu entfalten, wird der Testing Effekt4 genutzt. Anstatt das Lernen einfach nur zu bewerten, wie das bei Tests üblich ist, geht es bei diesem expliziten Selbsttest vielmehr darum, Lernen zu produzieren. Durch den Abruf des Bekannten wird das Gehirn aufgewärmt für die nächste Phase.
Die 3. Phase: diskutieren
Nachdem es in den ersten beiden Phasen ruhig und leise zu gegangen war, wird es jetzt wieder gesprächig.
Du kannst diese Phase damit einleiten, dass ihr nun gemeinsam jede der 3-5-3-Komponenten durchgeht. Ihr beginnt mit den Rollen, dann geht ihr zu den Events über und zum Schluss sprecht ihr über die Artefakte mit ihren Commitments.
Bei jeder einzelnen Komponente kannst du einleitend die Karten anschauen und erwähnen, die nicht markiert wurden. Bei diesen Statements sind sich also alle einig.
Anschließend kannst du auf die Karten eingehen, die einen oder mehrere Punkte enthalten und in Erfahrung bringen, warum die Teilnehmenden hier unterschiedliche Ansichten haben. Außerdem solltest du prüfen, ob die Karte überhaupt richtig liegt oder unter eine andere Überschrift gehört?
Das ist die Phase, wo du als Scrum Master auch gern ein bisschen ausführlicher erklären darfst. Schließlich dient diese Phase dem Ziel, den Wissensstand zu vertiefen.
Bei mir war es so, dass nicht nur ich als Scrum Master mein Wissen mit meinen Teams teilen konnte. Die teilnehmenden Teammitglieder waren nicht nur erfahren, sondern sie hatten auch genügend Zeit, um sich in die Scrum-Theorie einzudenken. Dadurch konnte sich wieder etwas von der Magie dieser Methode entfalten. Denn nicht nur sie haben von mir gelernt, sondern ich durfte auch von ihnen lernen. Das war sehr spannend.
Ich hatte meine anfänglichen Zweifel immer noch im Hinterkopf. Es handelte sich um erfahrene Teams und ich hatte mich gefragt, ob die 3-5-3-Aktivität nicht in 15 Minuten vorüber ist. Aber dieser Zweifel hat sich nicht bestätigt. In dieser Phase haben wir zum Beispiel die beiden eingangs erwähnten Fragen ausgiebig diskutiert:
Wenn wir zum Sprint-Ende eine Funktionalität nicht liefern können, was passiert dann?
Wer trifft die Entscheidung zum Release?
Debriefing
Wenn alle Komponenten nacheinander durchgegangen wurden, empfiehlt sich noch ein Debriefing, um die Aktivität rundzumachen und einen schönen Abschluss zu haben. Dabei kannst du zum Beispiel noch einmal zusammenfassen, was wir gerade gemacht haben und was die Key Learnings waren. Da wir uns in der Diskussion ausgiebig ausgetauscht haben, kannst du das Debriefing sehr kurz halten.
Zusammenfassung
Die Magic 3-5-3 Discussion ist eine effektive Aktivität, um den Wissensstand deines Teams über Scrum zu überprüfen und weiter zu vertiefen. Die Aktivität lässt sich zudem gut in einen größeren Workshop integrieren oder kann aber auch für sich allein stehend durchgeführt werden.
Relevant ist dieses Format für Scrum Master und Teams, indem es Klarheit darüber bringt, wie bestimmte Punkte im Scrum Guide gemeint sind. Es sorgt für Sicherheit im Umgang mit Scrum und verbessert das gemeinsame Verständnis, weil das gemeinsam genutzte Vokabular geschärft wird.
Der Workshop ist nützlich, weil er den Teilnehmenden zum einen Raum gibt, in Ruhe für sich nachzudenken und zu reflektieren und zum anderen ein interaktives Format darstellt, welches eine lebendige Diskussion beinhaltet. Ich persönlich finde, genau diese Mischung aus in Ruhe nachdenken und interaktiv diskutieren sehr schön. Das ergibt einen spannenden Kontrast.
Nach dem Workshop habe ich damals von allen Teilnehmenden sehr positives Feedback bekommen. Für viele war es die Übung, die ihnen an dem Workshop-Tag am meisten gebracht hat.
Wie ist das bei dir? Wie bringst du einem Team mit Scrum-Erfahrungen bei, auf welche Details und Punkte sie achten sollten? Welche Methoden haben sich für das Scrum-Onboarding für dich besonders bewährt?
https://scrumguides.org/scrum-guide.html
https://andymatuschak.org/prompts/Roediger2006.pdf; https://en.wikipedia.org/wiki/Testing_effect; Korte, M. (2019). Wir sind Gedächtnis: Wie unsere Erinnerungen bestimmen, wer wir sind. Pantheon. S. 356