Wie du mit dem Kanban Flow Workshop deinem Team das Pull-Prinzip erklären kannst
Die Ship Building Simulation ist ein Workshop-Format, mit dem du deinem Team den Unterschied zwischen Push und Pull erklären kannst.
Manche Scrum-Teams scheinen sich immer wieder mehr vorzunehmen als sie am Ende des Sprints schaffen können. Sie over-commiten sich regelmäßig und mehr und mehr Spill-over landet im nächsten Sprint.
Das Team drückt sich Storys in den Sprint, weil diese wichtig sind und unbedingt geschafft werden sollen, aber es ist gleichzeitig auch frustriert. Wenn diese Art von selbstorganisiertem Druck spürbar ist, dann befindet sich das Team wahrscheinlich noch im Push-Modus.
Die gute Nachricht ist, dass Schiffe bauen hilft.
Die Ship Building Simulation
Die Ship Building Simulation ist ein Workshop-Format, in welchem Papierschiffe vom Team gebastelt werden, um den Unterschied zwischen einem Push- und einem Pull-basierten System besser zu verstehen. Dieser Artikel soll eine möglichst genaue Beschreibung für den Ablauf und die Moderation eines solchen Workshops geben.
Wenn dein Team von Scrum zu Kanban wechseln möchte, ist dieses Format gut geeignet, um die dahinterliegenden Prinzipien zu verdeutlichen. Es eignet sich, um Lean-Prinzipien wie Pull, Work-in-Progress-Limits oder „Stop starting, start finishing“ mehr ins Team zu integrieren.
Der Workshop-Ablauf untergliedert sich in vier Teile: (1) Vorbereitung, (2) Simulation des Push-Systems, (3) Simulation des Pull-Systems und (4) Auswertungsrunde.
Von der Simulation habe ich zuerst beim großartigen Klaus Leopold im Buch „Kanban in der Praxis“ gelesen¹ und anschließend ein Video auf YouTube dazu gefunden². Das Video findest du ganz unten im Artikel.
Die Vorbereitungen
Die Vorbereitungen für den Workshop sind sehr einfach, benötigt werden lediglich einige wenige Materialien:
2 Stoppuhren / Handys
Flipchart
Papier, ca. 100 Bögen
Roter Edding oder 2x rote Blätter
Schwarzer Edding
Zwei Tische
Ca. 6 Teilnehmer
Die Anleitung zum Papierschiffe falten sollte man sich vorher unbedingt ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=sWRaeAzfirw
Das Flipchart kann bereits mit einer Tabelle aus drei Spalte vorbereitet werden. Die linke Spalte erhält die Überschrift „Minuten“ und es werden die Minuten (0 bis 6) eingetragen, die beiden anderen Spalten erhalten die Überschriften „Push“ und „Pull“.
Das Setting
Ein großer oder zwei kleinerer Tische sind als Reihe angeordnet. Die Teilnehmer sitzen sich schräg gegenüber. Am Anfang der Reihe liegt ein Stapel Papier, der Zeitnehmer sitzt am anderen Ende.
Das Push-Prinzip: Briefing und Ablauf der ersten Runde
Die erste Runde ist dazu da, ein Push-basiertes System für die Teilnehmer erlebbar zu machen. Während des Briefings sollte der Moderator einige Hinweise zum Ablauf geben.
Die Aktivitäten zum Falten erklären
Jeder Person muss erklärt werden, welche Faltschritte sie durchführen muss. Es sind insgesamt 12 Faltschritte und aufgeteilt werden. Im Beispiel mit fünf Personen sind das: 1, 2, 3+4, 5+6+7, 8+9+10+11+12.Die Messung dem Timekeeper erklären
Eine Person ist Timekeeper und notiert die Zeit am Ende der Pipeline.
— Stoppuhr starten, es gibt einen kurzen Countdown am Anfang
— Dann einfach die Zeit weiterlaufen lassen
— Jedes Mal, wenn ein Schiff ankommt, wird die Zeit notiert.Die Zwischenpause erklären
— Nach zwei Minuten gibt es ein „Stopp“-Signal.
— Der Timekeeper drückt Pause (nicht Stopp, damit die Zeit erhalten bleibt und wir uns später Rechnerei ersparen).
— Jeder bringt seinen Arbeitsschritt zu Ende und beginnt nichts Neues.
— Wir ermitteln den Work-In-Progress, d.h. wir zählen alle Schiffe, die sich gerade im Prozess befinden.Einen Hinweis zum Abschluss geben
— Das rote „Schiff“ (bzw. Blatt Papier) wird in den Prozess gegeben.
— Dies ist das letzte „Schiff“ und die erste Runde läuft bis es geliefert wurde.Die zwei Regeln erklären
— 1. Regel: FIFO — „First In First Out“, die Teilnehmer sollten versuchen Queues zu bilden, wenn sie ihre Arbeitseinheit weiterschieben.
— 2. Regel: Fast — Qualität ist zwar gut, aber wir wollen Geld verdienen.
— Beide Regeln gelten sowohl in der ersten als auch der zweiten Runde.
Nachdem das Briefing erfolgt ist, sollte es zunächst einen Probedurchlauf geben. Als Moderator schiebe ich dazu zunächst ein Blatt in Richtung des ersten Teilnehmers (um den Push zu verdeutlichen). Die erste Person macht einen Faltschritt und schiebt (oder „pusht“) dann weiter zur nächsten Person. Diese macht wiederum ihren Faltschritt und pusht zur nächsten, bis wir am Ende ein fertiges, halbwegs ordentliches Boot haben.
Nachdem der Probedurchlauf abgeschlossen ist, starten wir die erste Runde. Alle Teilnehmer falten kräftig und schieben Papier weiter. Der Zeitnehmer notiert die Minuten und Sekunden immer dann, wenn ein Boot fertiggestellt wurde. Nach gar nicht allzu langer Zeit fängt es dann an, dass sich Stapel vor den einzelnen Personen bilden — v.a. vor jenen, die weiter hinten am Tisch sitzen.
Nach zwei Minuten kommt das „Stop“-Signal vom Moderator. Die Zeit wird pausiert und die Anzahl der gefalteten Arbeitseinheiten, die sich auf dem Tisch befinden, wird gezählt und notiert. Anschließend wird das rote Blatt Papier in den Prozess gegeben und die Zeit wieder gestartet.
Nachdem das rote „Schiff“ den jeweiligen Arbeitsschritt passiert, kann die jeweilige Person im Prozess aufhören mit falten. Im richtigen Leben würde man natürlich weiterarbeiten, weil es noch sehr viel Arbeit gibt. Aber in der Simulation hören wir auf.
Wenn das rote „Schiff“ die letzte Person passiert hat, ist die erste Runde abgeschlossen. Es geht direkt, ohne eine Pause weiter mit der zweiten Runde.
Das Pull-Prinzip: Briefing und Ablauf der zweiten Runde
Der Ablauf in der zweiten Runde bleibt ähnlich wie in Runde eins. Der Timekeeper notiert wieder kontinuierlich die Minuten, wenn Schiffe fertiggestellt wurden. Dazu schreibt er am besten auf der anderen Seite seines Blattes weiter. Nach zwei Minuten gibt es wieder eine Pause, wir zählen das WIP und anschließend wird erneut ein rotes „Schiff“ in den Prozess gegeben. Die zwei Regeln bleiben ebenfalls gleich.
Eine Regel, die sich ändert, ist folgende: Es gibt keinen unlimitierten Push mehr, sondern wir wechseln auf Pull, d.h. wir führen WIP-Limits ein.
Work-In-Progress-Limit und Pull erklären
Für jeden einzelnen Arbeitsschritt wird das WIP-Limit auf „1“ gesetzt, d.h. im Arbeitsbereich der jeweiligen Person befindet sich immer nur ein einziges Schiff.
Die Teilnehmerin führt den jeweiligen Faltschritt durch und lässt dann das „Schiff“ vor sich liegen. Indem sie danach die Arme nach oben hebt, signalisiert sie, dass sie fertig ist. Am Anfang ist es wirklich wichtig, die Arme in die Luft zu heben, weil der Übergang von Push zu Pull nicht so einfach ist.
Du wartest, bis dein „Schiff“ aus deinem Arbeitsbereich gezogen wird. Wenn nichts mehr in deinem Arbeitsbereich ist, dann ziehst du von deinem Nachbarn neue Arbeit, wenn Arbeit verfügbar ist. Das ist Pull.²
Wenn den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Unterschied zwischen Push und Pull grundlegend klar ist, führen wir eine kurze Proberunde durch, ohne die Zeit zu nehmen. In meiner Erfahrung ist genau diese Proberunde wichtig, weil hier der Unterschied erst wirklich klar wird. Vom reflexbasierten Weiterschieben geht man über zum Warten, dass gezogen wird. Danach kommt der eigentliche Durchlauf und dann eine ausführliche Auswertung.
Der Kern des Workshops: die Auswertung
Direkt im Anschluss an das Schiffe-bauen ist es sinnvoll ein kurzes Debriefing durchzuführen. Passende Fragen sind z.B. „Wie habt ihr euch gefühlt?“ oder „Was war der Unterschied zwischen der 1. und 2. Runde für euch?“
Den durchschnittlichen Durchsatz ermitteln
Wir ermitteln zunächst den durchschnittlichen Durchsatz pro Minute und tragen diesen in die linke Spalte unter „Push“ ein und wiederholen dies anschließend für das Pull-System.
Die erste Zahl wird herausgestrichen, weil das System noch nicht voll ausgelastet war.
Die letzte Zahl wird ggf. ebenfalls herausstreichen, wenn das letzte Schiff nicht zur vollen Minute angekommen.
Die Bedeutung reflektieren
Wir hatten im ersten wie im zweiten Durchlauf in etwa den gleichen Durchsatz, allerdings mit dem Unterschied, dass in der Runde alle sehr beschäftigt waren und in der zweiten saßen die Leute teilweise da und haben gewartet. Das bedeutet, wir verdienen in beiden Szenarien gleich viel Geld, weil gleich viele Arbeitseinheiten abgeschlossen werden.
Außerdem gibt es einen Engpass oder Trichtereffekt und der Engpass bestimmt in beiden Situationen den Durchsatz. Im ersten Szenario nehmen wir uns jedoch mehr vor als wir erreichen können.
In der zweiten Runde saßen die Leute oft herum, ohne beschäftigt zu sein. Das ist „Slack Time“, also Zeit im System, die für andere Tätigkeiten zur Verfügung steht. In der Simulation ist die Regel, dass man sich nicht gegenseitig unterstützt, um die Vergleichbarkeit zwischen beiden Durchläufen zu gewährleisten. In der Realität würden wir diese Zeit nutzen und uns helfen. Oder wir würden danach suchen, wie wir das System verbessern können.
Gedankenexperimente durchführen
Was wäre, wenn wir im Push-System nach 15 Minuten das rote Schiff in die Produktion geben würden? Es würde noch viel länger dauern, vielleicht eine Stunde.
Was wäre, wenn wir nach 15 Minuten das rote Schiff ins pullbasierte System geben würden? Es wäre ebenfalls nach x:30 Minuten fertig?
D.h. wir bewegen uns rechts in einem stabilen System und links in einem instabilen System. Wenn du dich in einem instabilen System bewegst, kannst du keine verlässliche Aussage zu einem Lieferdatum treffen, weil unklar ist, wie viel WIP gerade im System ist.
Was passiert, wenn ein Kunde ankommt und seinen Auftrag schneller bearbeitet haben will? Wir geben ihm Priorität.
D.h. im System ändern wir die Bearbeitung der Queues von FIFO zu LIFO. Die Konsequenz ist, dass sein Auftrag (rotes Schiff) schneller fertig wird und die anderen Aufträge (weiße Schiffe) langsamer. Die Anzahl an Arbeiten mit hoher Priorität muss ebenfalls limitiert sein, denn sonst kann nicht garantiert werden, dass Arbeit schneller fertig wird.
Was ist, wenn der Kunde nach 40 Minuten sagt, dass er gern ein grünes Schiff haben möchte? Wo befindet sich sein rotes Schiff im Push-System, wo im Pull-System?
Arbeit wird außerhalb und nicht innerhalb des Arbeitssystems gequeued. Das heißt es, sich spät zu commiten. Deshalb wird die Arbeit links vom Arbeitssystem als Optionen bezeichnet. Erst indem die Arbeitseinheiten ins System gezogen werden, ist es ein Commitment. Wenn wir uns darauf committen, dann arbeiten wir schnell daran und bringen es auch schnell durch unser System.
Das Video
Den genauen Ablauf der Ship Building Simulation kann man im Video von Klaus Leopold gut nachvollziehen. Die Anleitung oben ist mehr oder weniger diesem Video entnommen.
Die Ship Building Simulation ist eine gute Methode, um den Unterschied zwischen Push und Pull deutlich zu machen. Sie kann eingesetzt werden, wenn ein Team von Scrum zu Kanban wechseln möchte oder die Prinzipien hinter Scrum besser verstehen will.
[1] Leopold, K. (2016). Kanban in der Praxis: Vom Teamfokus zur Wertschöpfung. Hanser Fachbuchverlag.
[2] agile42 South Africa / Klaus Leopold (14.09.2015). Ship building simulation — Improving and scaling Kanban (advanced). https://www.youtube.com/watch?v=iIc9ttGurUo