Mit 6 erprobten Schlüsseln in emotionalen Gesprächen besser verstanden werden
Lernen heißt unterscheiden lernen. Neue sprachliche Muster zu trainieren, beginnt damit, sich bestimmte Schlüsselunterschiede bewusst zu…
Lernen heißt unterscheiden lernen. Neue sprachliche Muster zu trainieren, beginnt damit, sich bestimmte Schlüsselunterschiede bewusst zu machen.

Manchmal verwenden wir unsere Sprache etwas unbewusst, das heißt einfach so, wie wir sie gelernt und übernommen haben. Das kann dazu führen, dass unsere Sätze nicht richtig verstanden werden. Wenn wir Sachen durcheinander bringen, leiden die Klarheit der Aussage und die Verständlichkeit beim Gegenüber.
Wenn wir uns gegenseitig nicht verstehen, können Anspannung, Konflikte und Streit die Folge sein. Unsere Beziehung leidet.
Wenn wir unser Kommunikationsverhalten dagegen reflektieren und uns verschiedene Unterscheidungen bewusst machen, können diese der Schlüssel sein für mehr Klarheit in emotionalen Gesprächen.
Bewertungen vs. Beobachtungen
Bewertungen sind Urteile und Interpretationen über die Worte und Handlungen anderer Personen. Sie drücken oft aus, was unserer Meinung nach korrekt oder fehlerhaft ist.
“Du bist zu spät!”, “Du bist schon wieder unpünktlich!” oder “Nie räumst du den Geschirrspüler aus!” sind typische Beispiele für Bewertungen. Aus diesen Bewertungen hören unsere Gegenüber oft Kritik heraus und reagieren darauf mit Abwehr.

Beobachtungen dagegen beziehen sich auf die sinnliche Wahrnehmung: Phänomene, die ich objektiv mit meinen Sinnen erfassen, also sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen kann. Beobachtungen sind exakt und konkret und können wie in einem mit Fakten angereicherten Polizeibericht formuliert werden.
Zentrale Fragen um Beobachtungen zu formulieren sind:
Was würde denn eine Kamera beobachten?
Würde mein Konfliktpartner meiner Beobachtung zustimmen?
Können wir uns auf die gleiche Wahrheit einigen?
Anstatt zu sagen “Du bist schon wieder unpünktlich!” würde eine Beobachtung eher so formuliert sein: “Wir waren um 11:00 Uhr verabredet, gekommen bist du um 12:00 Uhr.”
Allein schon das Fokussieren auf die Fakten kann in emotionalen Gesprächen bereits zur Entspannung beitragen.
Moralische Urteile vs. Werturteile
Moralische Urteile über andere Menschen und ihr Verhalten geben wir ab, wenn sie unsere Werturteile nicht mittragen. Unsere Annahmen darüber, was richtig und was falsch ist, lassen uns anderen Leuten unterstellen, dass sie Unrecht haben oder schlechte Menschen sind, wenn sie sich nicht unseren Wünschen gemäß verhalten.
Werturteile dagegen sind Urteile, die wir aufgrund der Eigenschaften, die uns wichtig sind, treffen. Sie reflektieren unsere Überzeugung.

Es macht einen großen Unterschied, ob wir ein moralisches Urteil über jemanden fällen, zum Beispiel indem wir die Person analysieren und bewerten. Marshall Rosenberg ist sich sicher, dass wir einen großen Preis dafür bezahlen, wenn wir das tun.
Es ist meine Überzeugung, dass diese ganzen Analysen des Verhaltens anderer Menschen tragischer Ausdruck unserer eigenen Werte und Bedürfnisse sind. Tragisch aus folgendem Grund: Wenn wir unsere Werte und Bedürfnisse auf diese Weise ausdrücken, erzeugen wir genau bei den Menschen Abwehr und Widerstand, an deren Verhalten uns etwas liegt. […] Wir bezahlen alle teuer dafür, wenn Menschen aus Angst, Schuldgefühl oder Scham auf unsere Werte und Bedürfnisse eingehen und nicht aus dem Wunsch heraus, von Herzen zu geben.¹
— Marshall B. Rosenberg
Urteile braucht jeder Mensch im Leben, um Situationen und Geschehnisse für sich einzuordnen und um beurteilen zu können, wie man mit einer Situation sinnvoll umgeht. Jedoch macht es einen Unterschied, wie wir diese Urteile in einem Gespräch äußern.
Wenn Sie in Konflikten statt Kritik Ihre Wertvorstellungen zum Ausdruck bringen, ist es für Ihre Gesprächspartner leichter, auf Sie einzugehen.²
— Ingrid Holler
Gefühle vs. Pseudogefühle
Hast du dich schon mal dabei beobachtet, wie du Sätze gesagt hast, wie “Ich fühle mich übergangen.” oder “Ich fühle mich missverstanden.” Bei dieser Art von Gefühlen handelt es sich in Wahrheit eher um Interpretationen von bestimmten Situationen oder Ereignissen. Die Aussage beschreibt oder bewertet dann das Tun oder Unterlassen von jemand anderem. Da diese Art von Gefühlen nicht im Körper stattfinden, sondern vielmehr im Kopf, werden sie als Pseudogefühle bezeichnet.
Wenn du dagegen sagst “Ich bin fröhlich.”, “Ich bin mich wütend.”, “Ich habe Angst.” oder “Ich bin verlegen.”, dann handelt es sich ganz klar um Gefühle. Gefühle sind unser Feedback-System um uns anzuzeigen, wie es um unsere Bedürfnisse bestellt ist. Verursacht werden sie durch unsere Bewertungen und nicht durch andere Menschen. Sie entstehen, wenn Bedürfnisse erfüllt oder nicht erfüllt werden und sie treten als Reaktion auf innere und äußere Auslöser auf.
Prüfen kannst du übrigens ganz leicht, ob du gerade von einem Pseudogefühl oder einem tatsächlichen Gefühl sprichst, indem du dir die folgende Frage stellst: Kann die Aussage ersetzt werden durch “Ich denke, dass …”?
Umsetzungsstrategien vs. Bedürfnisse
Umsetzungsstrategien sind die tatsächlichen Handlungen, um ein gewünschtes Ziel zu erreichen oder um etwas Bestimmtes umzusetzen. Strategien sind sehr konkret, denn sie haben einen deutlichen Bezug zu Personen, Orten, Aktionen, Zeiten oder Objekten.
Beispiele für Strategien sind folgende Aussagen:
Ich möchte, dass wir in den Winterurlaub nach Garmisch fahren.
Ich will am Wochenende im Wald spazieren gehen.
Ich will am Wochenende diesen und jenen Film im Fernsehen anschauen.
An diesen Wünschen (oder konkreten Umsetzungsstrategien) ist an sich nichts schlecht. Solange man allein für sich ist, kann man sie auch mit wenigen Problemen in die Tat umsetzen. Interessant wird es erst, wenn eine zweite Person dazu kommt, die etwas Gegensätzliches möchte (zum Beispiel im Winterurlaub lieber zu Hause bleiben). Dann ist der Konflikt vorprogrammiert.
An dieser Stelle ist es hilfreich, sich den Unterschied zu Bedürfnissen bewusst zu machen.
Bedürfnisse spiegeln das wider, was uns wichtig und wertvoll ist. Sie repräsentieren unsere Werte und bilden damit die Basis für unsere Werturteile. Bedürfnisse sind die Motive hinter unseren konkreten Handlungen. Sie motivieren uns, etwas Bestimmtes zu tun oder auch zu sagen.
Bedürfnisse haben folgende Eigenschaften: Sie sind positiv, universell (alle Menschen haben ähnliche Bedürfnisse) und abstrakt. Da Bedürfnisse nicht an bestimmte Handlungen oder Personen gebunden, gilt die “no PLATO”-Regel: Es gibt keinen direkten Zusammenhang zu einer Person, einer Location, einer Action, einer Zeit (bzw. Time) oder einem Objekt.
Einige Beispiele für Bedürfnisse sind: Autonomie, Selbstbestimmung, Wachstum, Kreativität, Sinn, Selbstwert, Luft, Nahrung, Lernen, Nähe, Gemeinschaft, Rücksichtnahme, emotionale Sicherheit, Freude, Harmonie, Frieden, Inspiration, Ordnung, Vertrauen, Verständnis, Zugehörigkeit.

Wenn wir unsere Bedürfnisse ergründen, heißt das auch, die Verantwortung für unsere eigenen Gefühle zu übernehmen! Wir sind vielleicht frustriert, weil die Partnerin nicht mit in die Alpen zum Skifahren möchte. Wenn wir diesen Konflikt auflösen und eine verbindende Lösung finden wollen, müssen wir ein bisschen tiefer graben.
Warum will ich in den Winterurlaub? Ich denke, weil ich Skifahren will. Aha, ist mir dann vielleicht Bewegung wichtig? Oder mag ich es, abends am Kamin zu sitzen mit einer Tasse Tee in der Hand? Ist mir also Entspannung wichtig? Oder geht es darum, einfach mal wieder Abstand zum Alltag und Zeit zu zweit zu haben, weil mir Verbindung wichtig ist?
Um die Bedürfnisse zu identifizieren, ist es also notwendig, sich mehrere Warum-Fragen zu beantworten. Das kann durchaus Arbeit sein. Wenn wir einen Konflikt oder eine angespannte Situation lösen wollen, ist diese Arbeit aber hilfreich und sinnvoll.
Und noch etwas: Für eine Konfliktlösung ist es sehr oft erforderlich, seine Lieblingsstrategien loszulassen und sich auf die dahinterliegenden Bedürfnisse zu konzentrieren. Dann ist es auch eine gemeinsame Lösung in Sicht.
Geläufiges Sprachkonstrukt vs. empathisches Sprachkonstrukt
Wie eingangs erwähnt, nutzen wir unsere Sprache manchmal etwas unbewusst. Wir haben ein bestimmtes Sprachmuster irgendwo gehört und es anschließend für uns übernommen.
Eine geläufige und häufig genutzte Struktur, um auszudrücken, wie wir uns fühlen, ist folgende: Gefühl, weil Beobachtung. (Zum Beispiel: “Ich bin verärgert, weil du den Geschirrspüler nicht ausgeräumt hast.”)
Wenn wir etwas empathischer kommunizieren wollen, dann wird folgende neue, bedürfnisorientierte Struktur vorgeschlagen: Beobachtung, Gefühl, weil Bedürfnis. (Zum Beispiel: “Der Geschirrspüler ist nicht ausgeräumt und ich bin verärgert, weil mir Unterstützung wichtig ist.”)
Aus der Du-Botschaft wird damit eine Ich-Botschaft. Viele Menschen nehmen letztere viel weniger als Schuldzuweisung wahr. Dadurch sehen sie sich weniger in die Defensive gedrängt und die Wahrscheinlichkeit auf ein ruhigeres Gespräch steigt.
Im Anschluss sollte aber unbedingt noch eine Bitte geäußert werden. Wenn keine Bitte formuliert ist und nur Beobachtung, Gefühl und Bedürfnis genannt werden, dann wird die Aussage möglicherweise genauso als Vorwurf interpretiert wie bei dem geläufigeren Sprachkonstrukt.
Bitten vs. Forderungen
Das Ziel einer Forderung ist es Zwang auszuüben durch Vorwürfe, Beschuldigung und Bestrafung. Damit bedroht eine Forderung unsere Autonomie, also unser starkes Bedürfnis frei zu wählen, und erzeugt Widerstand. Dieser wiederum führt zu zwei Handlungsmöglichkeiten: Unterwerfung oder Rebellion. Bei beiden sinkt die Bereitschaft einfühlsam zu reagieren rapide.
Ein Beispiel für eine Forderung kann sein: “Ich will, dass du mit mir in den Winterurlaub fährst!” (Ob diese Aussage als Forderung aufgenommen wird, ist natürlich abhängig davon, wie genau die Worte ausgesprochen werden.)
Die Bitte ist eine Strategie zur Bedürfniserfüllung. Grundsätzlich tun Menschen gern etwas, um die Bedürfnisse der anderen zu erfüllen, weil sie wollen, dass es dem Anderen gut geht. Deshalb sind Bitten die Strategie Nummer eins, um andere einzuladen, zur Erfüllung unserer Bedürfnisse beizutragen.
Genutzt werden zwei Arten von Bitten: die Beziehungsbitte und die Handlungsbitte.
Die Beziehungsbitte fragt (1) danach, was angekommen ist (“Mir ist es wichtig, Missverständnisse zu vermeiden, deshalb bitte ich dich, mir zu sagen, was du gerade verstanden hast?”) und (2) was das Gesagte beim Gegenüber auslöst (“Wie geht es dir, wenn du das hörst?”).
Die Handlungsbitte fragt danach, ob das Gegenüber etwas für mich tun kann. (“Ich hätte gern, dass du Folgendes tust …, einverstanden?”).

Erfolgreiche Bitten sind positiv formuliert und benennen ganz konkrete, realistische Handlungen und Verhalten. Sie sind häufig als Frage formuliert. Außerdem lassen sie dem Gegenüber aber auch die Entscheidungsfreiheit.
Wenn ich meinem Gegenüber diese Wahlfreiheit lasse, muss ich offen sein für ein “Nein”. Wenn ich erkennen möchte, ob ich mein Anliegen mit der Intention einer Forderung oder mit der einer Bitte ausgesprochen habe, muss ich überprüfen, wie ich mit dem “Nein” umgehe. Bestehe ich auf die Umsetzung? Dann war es eine Forderung. Bin ich offen für alternative Wege? Dann war es eine Bitte.
Fazit
Weil wir es oft nicht anders gelernt haben, verwenden wir unsere Sprache teilweise etwas undifferenziert. Hier hilft es, sich die verschiedenen Schlüsselunterscheidungen vor Augen zu führen.
Anstatt aus dem Affekt eine Bewertung zu äußern, sollten wir kurz innehalten, die Bewertung von der Beobachtung trennen und anschließend die beobachteten Fakten formulieren. Die Frage “Was genau würde eine Kamera in diesem Moment aufzeichnen?” kann helfen, sich auf die Fakten zu fokussieren.
Wenn die Situation emotional ist, dann sollten wir Pseudogefühle hinterfragen und das tatsächliche Gefühl ausdrücken. Dieses Gefühl sollte wiederum verknüpft werden, mit dem, was uns wichtig ist — unserem unerfüllten Bedürfnis.
Der letzte Schritt besteht darin, eine Forderung in eine Bitte zu verwandeln und unser Gegenüber um etwas zu bitten, was uns dabei helfen könnte, unser Bedürfnis zu erfüllen.
Literaturhinweise
[1] Rosenberg, M. B. (2016). Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (I. Holler, Übers.; 12. Edition). Junfermann Verlag, S. 30
[2] Holler, I., & Rosenberg, M. B. (2016). Trainingsbuch Gewaltfreie Kommunikation: Abwechslungsreiche Übungen für Selbststudium und Seminare (8. Edition). Junfermann Verlag, S. 35